Der Wanderzirkus

Cosinus, ein kleinwüchsiger Wanderer lebte in einem Wanderzirkus, wo er tagein, tagaus nur am Arbeiten war. Auch bei den Vorstellungen für das Publikum war er immer sehr versiert dabei. Alle bewunderten ihn und waren über seine Fähigkeiten und Fertigkeiten erstaunt. Jedoch seine Mitstreiter waren ihm gegenüber nicht gut aufgelegt. Sie platzten geradezu vor Neid. Doch Cosinus fiel dieses nicht so sehr auf und bemühte sich, einfach alles zu seinem Besten zu geben, was ihm auch immer gelang. Eines Tages setzten sich die Kollegen von Cosinus zusammen und schmiedeten einen Plan, wie sie Cosinus wohl loswerden könnten. Eine Idee kam zur anderen, doch keiner traute sich eine davon nur umzusetzen. Schließlich geht es um ein Menschenleben. Bis jemand die Idee aufbrachte, Cosinus des Nachts zu überraschen, ihn mit Chlorophyll zu betäuben und in einem Jutesack an einen Baum zu hängen, so dass dieser dortbleiben würde, wenn der Wanderzirkus seines Weges zieht. Es dauerte auch nicht lange. Nach den zwei weiteren Auftritten, es war der

11. April 1238, beschloss der Wanderzirkus weiter zu ziehen und die Kollegen sammelten sich des Nachts vor dem Karren von Cosinus. Einer öffnete die Tür, der andere schlich mit einem Chlorophyll getränkten Tuch in seinen Karren und betäubte Cosinus. Gemeinsam steckten sie ihn in einen Sack und banden ihn an einem nicht gar zu hohen Baum.

Erst Stunden später erwachte Cosinus in diesem Sack und erschrak. Er versuchte sich zu befreien, doch irgendwie war es sinnlos. Er kam nicht aus dem Sack heraus. Er begann zu rufen und zu schreien, doch niemand kam ihm zu Hilfe. Erst einen halben Tag später liefen an paar Knappen an dem Baum vorbei und hörten sein wimmern und sein heulen. Die Knappen kletterten den Baum hinauf und befreiten Cosinus aus seiner Falle. Er war sehr dankbar, konnte aber nicht erklären, was mit ihm passiert sei. Er begann zu weinen, denn er war sehr traurig, dass der Wanderzirkus nicht mehr da war. Es war schließlich von Geburt an sein zu Hause. Die Knappen versuchten ihn zu trösten, baten ihn, mit ihnen zur Burg zu kommen. Cosinus willigte ein. Sie liefen quer durch den großen Wald, bis zu einem Weg. Sie hielten an. Cosinus bat darum, dass die Knappen allein weiterziehen sollen, er möchte doch den Wanderzirkus aufsuchen, er möchte gerne wieder nach Hause. Die Knappen sahen es ein und zogen ihres Weges.

Cosinus Bauchgefühl trieb ihn in die andere Richtung. Eine Weile später, der Weg schien einfach kein Ende zu nehmen, begann es heftig zu regnen. Genau wie vor einem Jahr, der gleiche Tag, der 12. April wieder einmal, an dem so ein Unwetter aufkam. Das ist doch nicht schön, dachte Cosinus so bei sich. Er marschierte weiter, der Regen wurde schlimmer, Gewitter kam auf, es wurde stürmisch. Cosinus begann zu rennen. Er rannte und rannte, so schnell er konnte, bis er auf einmal des Weges abkam, ins Schliddern geriet, sich nicht mehr halten konnte und nach gefühlten zehn Kilometern endlich zum Stillstand kam. Cosinus fror richtig, es war sehr kalt geworden. Er richtete sich weinend auf und sah in naher Ferne ein Gasthof vor sich stehen. Er lief darauf zu, gerade als er die Tür öffnen wollte, übersah er die Stufe und stolperte geradezu in den Schankraum des Gasthofes. Es war eine sehr jämmerliche, spärliche Beleuchtung. Aus allen Ecken funkelten ihm sechs Paar schaurig aussehende, wachsame Augen entgegen. Er wusste nicht, wie ihm Geschah. Als aus dem Hintergrund hinter dem Tresen, eine brummige, ungute Stimme zu hören war, welche nur sagte: „Schau, schau!“ und dabei ein weiteres, ein siebtes schaurig schauendes Augenpaar erblitzte, wurde Cosinus ganz anders und dachte nur bei sich: „Sie schaun doch!“. Cosinus war starr vor Angst und gerade als er etwas sagen wollte, verspürte er einen unsanften Schlag auf seinen Hinterkopf. Cosinus sackte Bewusstlos zu Boden.

Wir schrieben den 13. April 1238 als Cosinus seiner Bewusstlosigkeit entwich. Er wusste nicht, wo er sich befand, was passiert ist noch was mit ihm geschah. Er konnte sich nur noch an sieben Paar grausig schauende Augen erinnern, die ihm nichts Gutes verheißen sollten. Einen brummigen Kopf verspürte er, durchsetzt mit stärksten Kopfschmerzen. Es war dunkel. Aus einem Spalt blitzte ein Strahl der Sonne. Sonst konnte er gar nichts sehen. Er rief, schrie und flehte um Hilfe, doch niemand reagiert auf seine Bettelei. Seine Kleidung war noch immer durchtränkt vom gewaltigen Regen des Vortages. Mit Matsch und Schlamm war seine Kleidung besetzt. Cosinus fühlte sich unwohl. Er wollte aus seinem Gefängnis entkommen, doch wie, wo er nicht mal die eigene Hand vor Augen sehen konnte. Kurze Zeit später hörte Cosinus Stimmen auf sich zu kommen. Er verkroch sich in eine Ecke, weil die Stimmen sehr bösartig klangen. Er hörte, wie jemand den Schlüssel in ein Schloss steckte und ihn dreht. Die Tür öffnete sich und es standen zwei Gestalten in ihr. Cosinus konnte aufgrund der Dunkelheit noch nicht wirklich viel erkennen, da die Augen sich erst wieder umgewöhnen mussten. Die beiden Gestalten bewegten sich auf ihn zu, schnappten ihn, rissen ihn hinauf und schleppten ihn wieder in den Schankraum des Gasthofes. Der Wirt hinter dem Tresen tat so, als sei nie etwas passiert und stellte Cosinus ein Glas Milch und zwei Kekse vor.

Cosinus verschlang die Kekse voller Gier und schüttete die Milch in sich, da er seit dem Vortag bei den Knappen nichts mehr gegessen hatte. Als die Augen sich langsam an das Licht gewöhnten, erkannte Cosinus die beiden Gestalten. Es waren jene, die auch bei dem Wanderzirkus arbeiteten. Doch warum waren sie hier, und wo sind die anderen vier, welche noch am Vorabend dabeisaßen. Cosinus konnte sich das nicht erklären und ging zu den beiden an den Tisch, fragte was vorgefallen sei. Die beiden erklärten, welche Intrige sie im Wanderzirkus schmiedeten um ihn loszuwerden und wie sie es durchführten. Dieses wurde vom Zirkusdirektor geahndet, so dass diese sechs Personen ihre Anstellung bei dem Wanderzirkus verloren. Sie waren so erzürnt darüber, dass sie auch gestern Abend nicht anders konnten, als das Vorgefallene Geschehen durchzuführen. Aber das schlechte Gewissen ließ die beiden anders denken. Die anderen vier Halunken sind abgehauen. Doch die beiden gebliebenen entschuldigten sich bei Cosinus, legten ihm neue Kleidung auf den Tisch und zeigten ihm die Richtung, in die der Wanderzirkus weitergezogen ist. Cosinus in seiner großen Güte, verzieh den beiden und verabschiedete sich.

Er rannte einen kleinen Pfad entlang, der zu einem Weg führte. Diesen Weg folgte Cosinus zwei ganze Tage und zwei ganze Nächte, bis er auf eine Lichtung kam. In weiter Ferne konnte er Lichter erkennen auf die er zu ging. Je näher er kam, desto lauter wurde es. Er hörte Gelächter, Geklatsche und Pfiffe. Er dachte sich, dass kann nur sein Wanderzirkus sein und begann zu rennen. Er rannte und rannte, bis er endlich an seinem Ziel ankam. Ja, es war der Wanderzirkus. Der Direktor sah Cosinus aus nächster Entfernung, rannte ebenfalls auf ihn zu und schloss ihn in seine Arme. Er war so froh, dass Cosinus endlich wieder da sei, er sei schließlich die Hauptattraktion in seinem Zirkus. Und Cosinus war ebenso froh, endlich wieder zu Hause angekommen zu sein. Er kam seinen Aufgaben und Pflichten nach, wie eh und je und fand genauso den Anklang, wie je zuvor.

(c) Michael Benter am 12.06.2016